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Bruch oder Hernie
“Du hebst dir noch einen Bruch!” Jeder hat diese Ermahnung schon einmal gehört und dann vielleicht daran gedacht, daß jemand aus Familie oder Freundeskreis tatsächlich schon einmal an einem “Bruch” operiert worden ist. Doch was ist eigentlich ein Bruch? Schließlich handelt es sich dabei nicht um den landläufigen Bruch eines Knochens, wie er z.B. bei einem Sturz auftreten kann.
Wegen dieser Missverständlichkeit sprechen die Mediziner auch gern von einer Hernie. Der Begriff Hernie stammt vom griechischen Wort hernios ab, das Knospe bedeutet. Diese “Knospe” ist bei einer Hernie auch tatsächlich zu sehen, handelt es sich doch um eine mehr oder weniger sichtbare Auswölbung der Bauchwand, die durch das Austreten von Eingeweide aus der Bauchhöhle durch eine sogenannte Bruchpforte verursacht wird. Landläufig spricht man daher von einem Eingeweidebruch oder eben einfach nur einem Bruch.
Obwohl viele Menschen der Meinung sind, daß ein Bruch vor allem durch das “Überheben” entsteht, kann es jedoch viele Ursachen für dieses unter Umständen auch schmerzhafte Krankheitsbild geben. Dabei unterscheidet man sinnvoller Weise zwischen angeborenen und erworbenen Hernien.
Angeborene Brüche
Bei Säuglingen, insbesondere Frühgeborenen, kann man angeborene Hernien sehr häufig beobachten. Hier haben sich natürliche Durchtrittspforten durch das Bauchfell – etwa bei Jungen im Bereich des Samenleiters – nicht von selbst verschlossen oder bereits vorhandene Ausstülpungen bilden sich während der Embryonal- und Fetalentwicklung nicht zurück. Dadurch bleiben Lücken in der Bauchwand offen, durch die Bauchinhalt wie z.B. Teile von Darmschlingen nach außen treten und die typischen Wölbung oder Schwellung am Bauch oder in der Leistenregion verursachen können. Jungen sind aus den genannten Grünen daher auch viermal häufiger von Leistenbrüchen betroffen als Mädchen.
Bei den angeborenen Brüchen hat sich eine Ausstülpung des Bauchfells nicht, wie eigentlich vorgesehen, während der Embryonal- und Fetalentwicklung zurückgebildet. Dadurch wird eine Lücke, zum Beispiel in der vorderen Bauchwand offengehalten, durch die dann beispielsweise Teile von Darmschlingen nach außen vor die Bauchwand treten können. Man sieht eine Wölbung oder Schwellung an der Bauchdecke oder auch in der Leistenregion.
Das relativ häufige Auftreten von Hernien bei Frühgeborenen ist verständlich, wenn man bedenkt, daß diese nicht den normalen Umfang einer Schwangerschaft (40 Wochen) Zeit hatten, sich zu Ende zu entwickeln. Bei normal zur Welt gekommenen Säuglingen ist das Auftreten von insbesondere Leistenbrüchen dagegen wissenschaftlich schwer erklärbar.
Leistenhernien bei Säuglingen müssen möglichst in den ersten Lebenstagen oder -wochen operiert werden, da die Einklemmungsgefahr des ausgetretenen Bauchinhalts hier wesentlich größer ist als bei Erwachsenen und lebensgefährliche Komplikationen verursachen kann.
Erworbene Brüche
Von erworbenen Hernien spricht man dann, wenn auch im Erwachsenenalter an natürlichen Schwachstellen der Bauchwand Eingeweidebrüche entstehen. An diesen Stellen ist die Muskulatur von Natur aus schon schwächer ausgeprägt (wie z.B. am Nabel) oder dort befinden sich natürliche Durchtrittsstellen durch die Bauchwand (Samenleiter, Mutterband, Blutgefäße). Möglicherweise sind sie auch erst künstlich entstanden, z.B. bei Unfällen, Verletzungen oder Operationen (Narben).
Die Erweiterung einer solchen natürlichen Schwachstelle zu einer richtigen Bruchpforte, aus der Bauchinhalt austreten kann, wird durch verschiedene Faktoren begünstigt:
- erhöhter Druck im Bauchraum (Husten, Übergewicht, bei einer Schwangerschaft oder so genannter Bauchwassersucht (Ascites) und beim Heben schwerer Lasten).
- häufiger Einsatz der Bauchpresse (bei chronischer Verstopfung oder bei Harnabflußstörungen)
- Überdehnung der Bauchdecke (z.B. durch große gut- oder bösartige Geschwülste im Bauchraum durch ihr verdrängendes Wachstum)
- Schwäche der Bauchdecken (vererbte, veranlagungsbedingte (konstitutionelle) Bindegewebsschwäche)
- Verletzungen der Bauchwand (z.B. Narben, Operationen)
Merkmale von Eingeweidebrüchen
Drei Merkmale weist jeder Eingeweidebruch auf:
- Bruchpforte: Durch erhöhten Druck im Bauchraum weichen die tragenden Bauchwandschichten so weit auseinander, dass eine beutelartige Vorwölbung der restlichen Bauchwandschichten, der
- Bruchsack resultiert. Dessen innere Auskleidung besteht im Regelfall aus gleitendem Bauchfell (Peritoneum). Im Brucksack ist der
- Bruchinhalt. Aufgrund entzündlicher Reaktionen kann der Bruchsack Bruchwasser enthalten, aber auch temporär leer sein. Unter Umständen enthält er sogar eine Dünndarmschlinge. Auch frei bewegliche Organe, wie Eierstock, Wandanteile der Harnblase oder des Dickdarms, können in den Brucksack eintreten.
Noch relativ frische Hernien sind meist reponibel (von lat. reponere = wiederherstellen), d. h. durch sanften Druck von außen kann der Inhalt wieder in die Bauchhöhle zurückgeführt werden. Diese Vorgehensweise kann bei unsachgemäßer Anwendung und fehlender nachfolgender Beobachtung auch bereits bestehende Komplikationen verschleiern.
Symptome und mögliche Komplikationen
Je nach dem Ort ihres Auftretens kann eine Hernie durch eine Schwellung auffallen oder auch möglicherweise unbemerkt bleiben. Der Patient verspürt manchmal ziehende oder stechende Schmerzen. Ein erhöhter Bauchdruck durch Husten oder Bauchpresse kann die Hernie sichtbar hervortreten lassen. Einige Hernien können durch entzündliche Verwachsungen nicht mehr in den Bauchraum zurückgeführt (reponiert) werden und verursachen dadurch Schmerzen.
Eingeweidebrüche sind jedoch deswegen so gefürchtet, weil besonders bei engen Bruchpforten und fortgesetzter Nichtbehandlung Komplikationen auftreten können, die möglicherweise sogar lebensbedrohend sein können. So können Darmschlingen austreten und sich in der Bruchpforte einklemmen. Enthaltener Darminhalt bewirkt dann eine Darmwandschädigung. Noch schlimmer ist jedoch das Abklemmen der Blutversorgung der Darmschlinge (Inkarzeration). Diese Komplikationen sind hoch schmerzhaft und müssen innerhalb von sechs Stunden operativ behandelt werden.
Die moderne operative Behandlung von Hernien
Für die operative Behandlung von Eingeweidebrüchen steht heutzutage ein großes Repertoire ausgefeilter OP-Methoden zur Verfügung. Dabei unterscheidet man prinzipiell erstmal zwischen offenen und laparoskopischen Verfahren. Die minimal-invasiven laparoskopischen Verfahren (mit Kamera im Bauchraum) sind zwar technisch sehr elegant, haben sich aus verschiedenen Gründen jedoch nicht für die große Mehrheit der Patienten durchsetzen können. Bei den offenen Verfahren wird in erster Linie zwischen Operationen mit und ohne Netzimplantation unterschieden:
In den letzten 100 Jahren wurden die verschiedensten offenen OP-Methoden ohne Implantation von Fremdmaterialien entwickelt. Im europäischen Raum hat sich dabei die OP nach Shouldice durchgesetzt. Dabei wird die Bruchpforte operativ eröffnet, der Bruchsack verschlossen und in den Bauchraum zurückgedrängt. Im Anschluß werden die derben Bindegewebsschichten unter der Haut (Faszien) überlappend vernäht. Die Bauchdecke wird dadurch stabilisiert und der vorgewölbte Bauchfellsack gut zurückgehalten. Durch die relativ lange Heilungsphase ist bei dieser Methode der Patient erst nach 6 bis 12 Wochen wieder voll belastbar. In dieser Phase ist man körperlich nur eingeschränkt arbeitsfähig und darf keine schweren Lasten tragen.
Besonders in den letzten 10 Jahren haben sich immer mehr die Vorteile der OP-Methoden mit Netzimplantation (OP nach Rutkow oder nach Lichtenstein) herausgestellt. Schon über die Hälfte aller Leistenbruchpatienten wird auf diese Weise behandelt. Analog zur o.g. Vorgehensweise wird zuerst die Bruchpforte dargestellt und der Bruchsack abgetragen oder in den Bauchraum zurückgeschoben. Zur Stabilisierung der Bauchwand wird jedoch nun an dieser Stelle ein (teilweise vom Körper abbaubares) Kunststoffnetz eingesetzt. Der eingesetzte Fremdkörper führt zur schnellen Ausbildung einer stabilen Narbenplatte. Der Patient ist spätestens nach 2 – 4 Wochen, eigentlich jedoch sogar sofort wieder belastbar, was ein großer Vorteil dieser Methoden ist. Da die Gewebeschichten nicht überlappend vernäht werden, sind auch Spannungsschmerzen nach der OP eher selten.